Zeitzeugengespräch mit Erich Finsches
Zeitzeugengespräch mit Erich Finsches am 24.1.2020 HTL Lastenstraße
In der Vorbereitung sagte ein Schüler der HTL Lastenstraße: „Die Geschichte lehrt uns, dass die Menschen aus der Geschichte nichts lernen.“
Der deutsche Bundespräsident Frank Walter Steinmeier sagte in Jerusalem bei einer Gedenkfeier an die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau vor 75 Jahren am 27.1.1945 durch sowjetische Truppen:
„Ich wünschte, sagen zu können: Wir Deutsche haben für immer aus der Geschichte gelernt. Aber das kann ich nicht sagen, wenn Hass und Hetze sich ausbreiten…Ich wünschte, sagen zu können: Unser Erinnern hat uns gegen das Böse immun gemacht…. Die bösen Geister zeigen sich heute in neuem Gewand.
Mehr noch: Sie präsentieren ihr antisemitisches, ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Antwort für die Zukunft, als neue Lösung für die Probleme unserer Zeit.“
Laut Bundespräsident van der Bellen kann man diese Aussage auch eins zu eins auf Österreich übertragen.
Von der Täterrolle Österreichs in der Zeit des Nationalsozialismus, vom langen Weg dahin, von Diskrimination, Ausgrenzung, Mobbing, von einem längeren Prozess der Herabwürdigung und Entmenschlichung, insbesondere von Jüdinnen und Juden, erzählte Erich Richard Finsches aus Wien am 24.1.2020 in einem Zeitzeugen-Gespräch. Als einer der letzten, die aus eigenem Erleben erzählen und Zeugnis über die NS-Zeit ablegen können, war er in der Mediathek der HTL Lastenstraße zu Gast.
Erich Finsches ist Jude, er war in Auschwitz und er hat überlebt.
1927 in Wien als Sohn einer jüdischen Mittelstandsfamilie geboren, wurde er 1938 aus der Schule hinausgeworfen und bald darauf – obwohl noch ein Kind – eingesperrt. Er berichtete von Stößen, Tritten, Prügeln mit Gewehrkolben und Zwangsarbeit. 1939 kam er in ein Arbeitsertüchtigungslager nach Eisenerz, wo er Erz in Loren füllen musste. Nach monatelanger Flucht tauchte er in Wien unter und lebte zwei Jahre als U-Boot in der Stadt. Nach einem neuerlichen Aufgriff leistete er wieder Zwangsarbeit, diesmal in einer Wäscherei. Als er hörte, dass die großen Transporte bereits nach Polen gehen, gelang ihm eine neuerliche Flucht nach Ungarn, wo er sich mit Handel von Essen und Informationen über Wasser hielt. Dabei kam er auch mit dem späteren jugoslawischen Präsidenten Josip Broz Tito in Kontakt. 1944 wurde er von der SS entdeckt und im September im Zuge des Massenmordes an ungarischen Juden nach Auschwitz deportiert. Im September 1944 wurde in ein Nebenlager von Dachau nach Mühldorf am Inn verlegt und leistete in einem unterirdischen Flugzeugwerk Zwangsarbeit. Ende April 1945 wurde er von amerikanischen Soldaten als erwachsener, schwer kranker Mann befreit. Er wog damals nur 29 Kilogramm. Nur langsam kam er in den Nachkriegsjahren wieder zu Kräften. Obwohl von 65 Verwandten nur noch eine Tante und ein Onkel lebten, kehrte er als laut eigener Aussage „österreichischer Patriot“ wieder nach Wien zurück.
40 Schülerinnen und Schüler der 4. und 5. Klassen der HTL lauschten über eineinhalb Stunden hoch konzentriert und gebannt den Schilderungen von Erich Finsches. Das gibt Anlass zur Hoffnung, dass die Geschichte doch eine kritische Lehrmeisterin ist, die uns sagt, wie wir es nicht machen sollen.
Rainer Gottas | Evangelische Religion
Karin Wasserbacher | Katholische Religion