Politisches Handeln in einer Demokratie

 

Ziel politischen Handelns

Aufgabe und Ziel der Politik ist es, allgemein verbindli­che Regelungen für unser Zusammenleben festzulegen.[1] Somit ist jedes Handeln, das Entscheidungen über neue Gesetze oder auch informelle Vereinbarungen zu beeinflussen sucht, eigentlich bereits politisches Handeln, unabhängig vom Erfolg des Versuches. Die Auswirkungen politischen Handelns reichen jedenfalls über den privaten Bereich hinaus, wirken demnach öffentlich und verfolgen eine Änderung der sozialen Rahmen­bedingungen. Dabei ist politisches Handeln meist interaktiv, findet also gemeinsam mit anderen Menschen statt, aber auch Taten einzelner Personen können großen Einfluss haben.

Vielerlei Ereignisse verändern unser soziales Umfeld. Manchmal sehr abrupt wie der Anschlag von Terroristen, die Aufdeckung eines Skandals durch Journalisten oder die Entscheidung eines Politikers in einer Krisensituation. Oft erfolgt die Veränderung über einen längeren Zeitraum und in einem parlamentarischen Prozess mit vielen Akteuren wie bei Reformen des Sozialstaates oder bei internationalen Beziehungen zwischen Staaten. Immer aber versuchen Personen, teilweise unterstützt von den Medien, die Veränderungen und die ihnen zugrunde liegenden oder daraus resultierenden Regelungen zu beeinflussen. Ihr Handeln kann dabei legal oder illegal, konventionell oder unkonventionell, organisiert oder spontan sein.

Politisches Handeln ist daher weit mehr als das Handeln des Staates durch seine Vertreter und Institutionen. Politisch Handeln kann jeder Einzelne/jede Einzelne nicht nur als Wähler oder Mitglied einer Partei, sondern auch als Meinungs­bildner bei politischen Diskussionen, als Konsument durch bewusste Kaufentscheidungen oder als Aktivist in einer NGO. Wichtigste Voraussetzung ist das Ziel der Veränderung allgemein verbindlicher Regelungen und Aktivitäten, die über den privaten Bereich hinauswirken.

 

Akteure politischen Handelns

Je dichter vernetzt eine Gesellschaft und je vielschichtiger ihre Arbeitsteilung, desto größer ist der Bedarf nach langfristigen politischen Steuerungs­einrich­tun­gen, die allgemein Institutionen genannt werden. In einer komplexen, arbeitsteiligen Gesell­schaft können sich Bürger nicht mehr um alle Entscheidungsfindungen selbst kümmern. Daher entstand die Idee der repräsentativen Demokratie, bei der diese Aufgaben an gewählte Repräsentanten übertragen werden. Das Volk im Sinne der Wahlberechtigten spielt dabei eine große Rolle für die Legitimität von Macht, auch in der österreichischen Bundesverfassung ist in Art. 1 B-VG festgelegt, dass das Recht vom Volke ausgeht.

Die Schaffung von gesetzlichen Normen als das wichtigste politische Handlungsinstrument in einer Demokratie findet so seinen Ausgangspunkt bei der Bevölkerung, die durch nach bestimmten Kriterien (allgemein, gleich, frei) durchgeführte Wahlen ihre Macht übertragen.

Kennzeichnend für eine Demokratie ist aber auch die Idee der Gewaltenteilung. Am wichtigsten sind hier drei Erscheinungsformen: Bei der horizontalen Gewalten­teilung kontrollieren sich die gesetzgebende Legislative (Parlamente), die vollziehende Exekutive (Ministerien und Bürokratie) sowie die rechtssprechende Judikative (Gerichte) gegenseitig und verhindern so Machtmissbrauch. Bei der vertikalen Gewaltenteilung arbeiten die ver­schie­denen Ebenen der Politik wie Gemeinden, Bundes­länder, Nationalstaat und  Europäische Union zusammen. Die zeitliche Gewaltenteilung schließlich sieht einen periodischen Wechsel von Regierungs- und Oppositionsrolle für einzelne Par­teien vor.

Die Bevölkerung ist an allen Gewalten und in allen Ebenen beteiligt. Das zentralste Instrument dabei sind Wahlen. So werden in Österreich sowohl Vertreter in die Legislative gewählt (Landtag, Nationalrat und Europäisches Parlament) als auch Organe der Exekutive (Bundespräsident, Gemeinderat, in manchen Bundesländern auch Bürgermeister). Über ein Volksbegehren hat die Bevölkerung die Möglichkeit einen Gesetzesantrag in den Nationalrat bzw. in Landtage einzubringen. Beiräte und andere Beteiligungsverfahren dienen zur Beratung der Verwaltung. Laienrichter in Form von Schöffen und Geschworenen sind eine Form der Partizipation des Volkes bei der Rechtsprechung.

 

Verschiedene Demokratiemodelle

In den verschiedenen Modellen der Demokratie hat die Beteiligung der Bevölkerung unterschiedliche Funktionen. In einer repräsentativen Ausprägung wählt das Volk (im Sinne aller Wahlberechtigten) seine Vertreter in Parlamente und andere Funktionen und überträgt ihnen durch diesen Akt die Berechtigung, stellvertretend Entscheidungen zu treffen. Mit den Instrumenten der direkten Demokratie (Volksab­stimmung, Volksbefragung und Volksbegehren) trifft die Bevölkerung (wieder eingeschränkt auf alle Wahlberechtigten) die Entscheidung an Stelle der gewählten Repräsentanten. Hier kann nochmals unterschieden werden zwischen Formen, mit denen sich die Bevölkerung über den Willen der politischen Vertreter hinwegsetzen kann (Volksabstimmung) oder wo es sich nur um eine Empfehlung handelt (Volksbefragung und Volksbegehren). Ebenso unter­scheiden sich plebiszitäre von basisdemokratischen Ausprägungen durch die Art ihrer Initiierung. Entscheiden bei der erstgenannten Form bereits gewählte Mandatare über die Durchführung und Art einer Befragung (Volksabstimmung, Volksbefragung), so werden im zweiten Falle die Bürger selbst aktiv (Volksbegehren). In der Schweiz zum Beispiel kann die Bevölkerung gegen den Willen des Parlaments eine Volksbefragung durchsetzen. Diese Möglichkeit eines Initiativreferendums existiert in Österreich nur in einigen Bundesländern.

Bei partizipativen oder deliberativen[1] Formen schließlich ist die Bevölkerung nicht erst in die Entscheidung selbst eingebunden, sondern in den Beratungsprozess vorher. In diesem vorparlamen­tarischen Raum verfassen zufällig ausgewählte Bürger, deren Kreis nicht notwendigerweise auf alle Wahl­berechtigten eingeschränkt werden muss, eine Art Gutachten. Über das Ausmaß und die Art der Umsetzung dieser Bürgergutachten entscheiden anschließend die gewählten Repräsentanten. Die Beratung der Bürger findet dabei thematisch und zeitlich eingegrenzt in einem Workshop statt und beinhaltet keine Verpflichtungen darüber hinaus.

Alle drei Formen der Demokratie sind nicht ausschließlich zu sehen, sondern ergänzen sich je nach Aufgabe, Thema und Ausgangslage. Sowohl in den Gemeinden, auf Landes- oder Bundesebene als auch auf europäischer Ebene lassen sich alle drei Formen mit all ihren Beteiligungsmöglichkeiten finden. Je nach Art des Konflikts bzw. nach geforderter Lösung kann daher politisches Handeln durch Wahlen, Instrumente der direkten Demokratie oder Bürgerbeteiligung zum Erfolg führen. Manchmal erreicht man Änderungen durch Partizipation innerhalb des politischen Systems, manchmal ist es erfolgreicher Druck von außen auszuüben, was im Rahmen der Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit zu den garantierten Grundrechten einer Demokratie gehört. Die meisten bereits vorhandenen Möglichkeiten wie Petitions­rechte, Volksbegehren und andere Instrumente der direkten Demokratie auf Gemeinde-, Landes- aber auch Bundesebene wurden immer schon in geringem Ausmaß von der Bevölkerung wahrgenommen. Die Möglichkeiten durch Öffentlichkeit von außen Druck auf politische Entscheidungsträger auszuüben, sind durch das Internet und neue soziale Medien in den letzten Jahren wesentlich erweitert worden.

 

Verschiedene Bürgerrollen

Damit diese theoretischen Möglichkeiten der Beteiligung von der Bevölkerung tatsächlich wahrgenommen werden, braucht es ein Verständnis über die eigene Rolle innerhalb des politischen Systems. „Demokratie heißt, sich in die eigenen Angelegenheiten einmischen“, meinte schon der Schriftsteller Max Frisch.[2] Demokratie braucht daher einen kritischen, einen mündigen und einen aktiven Bürger bzw. Bürgerin

Die politische Bildung beschäftigt sich seit Ende der 1990er Jahre mit verschiedenen Bürgerrollen. So entspricht der „reflektierte Zuschauer“ der klassischen repräsentativen Demokratie. Der Bürger sollte die Zusammenhänge politischen Handelns (vorwiegend der Parteien) verstehen, sie beurteilen und seine Aufgabe als Wahlberechtigter erfüllen, indem er die Macht an Abgeordnete delegiert. Der „Aktivbürger“ hingegen ist mit dieser passiven Rolle nicht zufrieden. Er strebt nach mehr Teilhabe durch möglichst breite und dauerhafte politische Beteiligung bei möglichst vielen Sachfragen, wie es in der direkten Demokratie vorgesehen ist.  Der Aktivbürger ist bereit, einen Großteil seiner Freizeit für politische Diskussionen und Gremien zu opfern. Da dies in einem komplexen europäischen Mehrebenensystem dennoch nur in Grenzen möglich ist, wurde der Typ des „interventionsfähigen Bürgers“ entwickelt. Er erkennt, wann seine politische Einmischung notwendig ist und wo und wie sie wirksam wird.[3] Ein interventions­fähiger Bürger soll abschätzen können, wann er sich zurücklehnen darf und wann sein aktives Eingreifen notwendig ist bzw. zu welchen Instrumenten er greifen muss, um Erfolg zu haben.

Den schwindenden gesellschaftlichen Integrations­kräften von Parteien, Verbänden und Kirchen steht auf der anderen Seite eine sich entwickelnde Zivilgesellschaft mit neuen, unkonventionellen Partizipationsformen gegenüber. Viele schauen zu, manche engagieren sich dauerhaft in Organisationen, auch in Parteien, die meisten aber sind nur punktuell bereit politisch zu handeln. Motivation für dieses Aktivwerden ist oft persönliche Betroffenheit, wenn politische Entscheidungen die eigenen Interessen oder den eigenen Lebensbereich berühren. So einigen Proteste gegen Großprojekte schnell Bürger über alle ideologischen Grenzen hinweg, allerdings finden diese spontan entstehenden Gruppen nur selten eine gemeinsame Basis um aktiv politisch zu handeln. Dies ist angesichts der Fragmentierung der Gesellschaft und des Parteienspektrums eine zentrale Herausforderung für die Politische Bildung: Wie bringt man Bürger zum politischen Handeln über das Verteidigen eigener Interessen hinaus? Gerade die Ankunft von Flüchtlingen in Europa hat viele Menschen politisch handeln lassen, ein großer Teil allerdings nach dem NIMBY-Prinzip. Diese Abkürzung steht für Not In My Backyard (wörtlich übersetzt: Nicht in meinem Hinterhof) und bedeutet die Weiterreichung von Problemen an andere, ähnlich dem St. Florians-Prinzip. Die Proteste der sogenannten Wutbürger werden oft mit diesem Kürzel verknüpft, da es auch bei ihnen meist nur um die Verteidigung ihrer lokal begrenzten Partikular­interessen geht. Wie aber können Menschen dazu bewegt werden, sich für das allgemeine Wohl, für die Interessen der Gesamtgesellschaft einzusetzen?

 

Formen politischen Handelns

Formen politischen Handelns im engeren Sinn sind in einer repräsentativen Demokratie überwiegend Wahlen, in einer direkten Demokratie Abstimmungen. Beides sind konventionelle oder institutionalisierte Partizipationsformen, was bedeutet, dass sie von der Verfassung vorgesehen sind. Zu dieser Gruppe werden auch Mitgliedschaften in Parteien oder Verbänden sowie ehrenamtliches Engagement in Vereinen und Bürgerinitiativen gezählt. Ebenso konventionell, aber weniger dauerhaft organisiert sind das Einreichen von Petitionen, die Beteiligung an Diskussionen, die Bereitschaft zur Information über das politische Geschehen bzw. die Teilnahme an Planungsprozessen oder Bürgerräten.

Zu den unkonventionellen Formen der Beteiligung gehören Demonstrationen, Boykott-Aktionen, Blockaden, Unterschriftenaktionen, Flashmobs usw. Hier ist die Grenze zwischen legalen und illegalen Formen oft fließend, vor allem wenn es sich um Protestmaßnahmen handelt. Appellative Proteste wie Unterschriftensammlungen sind legal, ebenso demonstrative Proteste wie Kundgebungen und Mahnwachen, wenn sie behördlich angemeldet sind. Konfrontative Proteste wie Blockaden, Besetzungen oder gar gewalttätige Proteste wie Sachbeschä­digungen oder Angriffe auf Personen sind dies selbstverständlich nicht. Ebenso unkonventionell sind Formen des zivilen Ungehorsams, wie sie Mahatma Gandhi in seinem Kampf um die Unabhängigkeit Indiens von Großbritannien praktizierte. Beim zivilen Ungehorsam werden Gesetze, die als ungerecht eingeschätzt werden, bewusst und öffentlich übertreten. So ging ein Grazer Pfarrer in der Innenstadt betteln, um auf das in seinen Augen ungerechte Bettelverbot der Stadt aufmerksam zu machen.

Bei den deliberativen Formen der Beteiligung wie dem Bürgerrat, der Zukunftswerkstatt oder dem Bürgerhaushalt findet der Übergang von unkon­ventionell zu konventionell gerade statt. So hat der Vorarlberger Landtag 2013 beschlossen, Bürgerräte in der Landesverfassung zu verankern. Seither können der Landtag, die Landesregierung aber auch 1.000 teilnahmeberechtigte Bürger diesen beratenden Beteiligungsprozess starten.

Das Internet und neue soziale Medien erlauben es heute jedem einzelnen, mit seinen Botschaften ein beinahe unbegrenztes Publikum zu erreichen. So hat eine Schülerin in Deutschland mit ihrem Tweet „Ich bin fast 18 und hab keine Ahnung von Steuern, Miete oder Versicherungen. Aber ich kann ’ne Gedichts­analyse schreiben. In 4 Sprachen“ eine rege politische Debatte über das Schulsystem ausgelöst. Dieses Beispiel zeigt, dass die Macht des Einzelnen zwar enorm gestiegen ist, aber der tatsächliche Erfolg von nicht beeinflussbaren Zufällen abhängt, etwa ob das Thema von Medien und Bürgern aufgenommen und diskutiert wird.

 

Erfolgsfaktoren politischen Handelns

Entscheidend für den Erfolg politischen Handelns aus Sicht der Bevölkerung und des Einzelnen ist die Beeinflussung von Entscheidungen, die meist von politischen Entscheidungsträgern getroffen werden. Dazu ist es notwendig, die Logik der Politik und der Medien zu verstehen. Denn meist ist es nicht möglich, Politiker direkt bei ihrer Meinungsbildung zu beeinflussen, sondern dies geschieht über massen­mediale Öffentlichkeit. Wer Erfolg haben will, muss in einer Demokratie die Meinung der Mehrheit auf seine Seite bringen oder zumindest die Mehrzahl von politischen Entscheidungsträgern überzeugen. Aktive Bürger sind demnach nichts anderes, als Lobbyisten für eine bestimmte Sache. Dabei können Faktoren wie Fach­wissen, Zugänge zu Personen oder der Einfluss auf die öffentliche Meinung entscheidend sein.

Notwendige Kompetenzen sind dabei das Erkennen und Artikulieren der eigenen Interessen, die Fähigkeit zu argumentieren und zu verhandeln sowie der Wille zur Entscheidung und deren Umsetzung.

Aktive Bürger sind das Ziel jeder Politischen Bildung. Mündige Bürger, die in der Lage sind, sich zu informieren, selbstständig Urteile zu fällen, ihre Interessen zu artikulieren, sich mit anderen Bürgern zu organisieren. Alles das sind Voraussetzungen für Partizipation und politisches Handeln. Die wichtigste Zutat lautet allerdings Selbstwirksamkeit. Nur wer erfährt, dass eigenes Tun auch Auswirkungen auf das Umfeld hat, wird längerfristig motiviert sein, sich politisch zu engagieren und zu handeln. Konkret bedeutet das, dass alles Wissen und Können rund um Politik begleitet sein muss von konkreten Möglichkeiten, Ideen umzusetzen. In einer Demokratie beginnt dies nicht bei den staatlichen Institutionen, sondern im Alltag. Eine demokratische Herrschaftsform funktioniert nur, wenn möglichst viele Lebensbereiche demokratisch organisiert sind und alle Beteiligten auch Aussicht auf Erfolg ihres politischen Handelns haben. Dies betrifft die Familie ebenso wie die Schule, den Betrieb oder diverse Freizeitvereine. Demokratie-Lernen findet in jeder Situation statt, und Bildung hat die Aufgabe, dass Partizipation nicht nur Eliten vorbehalten bleibt.

 

Urteil über politisches Handeln

Politisches Urteilen ist generell die am meisten verbreitete politische Handlung von Bürgern, vor allem in einer repräsentativen Demokratie. Stetig wird das politische Handeln von Politikern, Parteien, Interessenvertretungen wie Gewerkschaften oder Kammern, diverser Organisationen oder anderer Bürger verglichen und abgeschätzt. Politische Urteile beziehen sich dabei auf reales politisches Geschehen, aber auch auf Programme, Ideen oder Lösungsvorschläge.

Parteien können insbesondere auf drei Arten Handeln: Erstens organisieren sie den parlamen­tarischen und administrativen Prozess, das heißt sie beschließen Gesetze und führen diese aus. Zweitens entscheiden politische Repräsentanten über die Verteilung von öffentlichen Geldern, etwa in Form von Förderungen oder durch die Durchführung von Infrastrukturmaßnahmen wie Bau von Straßen, Schulen, Krankenhäusern oder Museen. Drittens agieren Politiker in vielen Situationen symbolisch, indem sie Kraft ihrer Positionen und Funktionen Richtlinien für unser soziales Verhalten vorgeben. So ist es für den Erfolg von Integrationsmaßnahmen von Asylwerbern in Gemeinden entscheidend, ob der Bürgermeister diesen positiv oder negativ gegenübersteht.

Um politisches Handeln beurteilen zu können, sei es das von Politikern, Parteien, Interessens­organisa­tionen oder auch von Bürgern, ist die Frage nach dem Cui bono? (lateinisch für Wem zum Vorteil?) sehr hilfreich. Demnach kann unterschieden werden, ob das Handeln der Person selbst (etwa zum Machterhalt, zum Erhalt der Position) nützt, ob es der Partei einen Vorteil zum Beispiel bei der nächsten Wahl bringt, ob es einer kleinen Gruppe von Personen oder ob es der Gesellschaft im Sinne einer Erhöhung des Gemeinwohls dient.

Der Politikwissenschafter Peter Massing hat ein Raster der politischen Urteilskriterien erstellt. Er unterscheidet zwischen der Sichtweise des politischen Akteurs, der Sichtweise des von Politik Betroffenen und der Sichtweise des politischen Systems nach den beiden Kriterien Effizienz und Legitimität.

 

 

 

Rationalitätskriterium Sichtweise des politischen Akteurs Sichtweise des von Politik Betroffenen Sichtweise des politischen Systems
Effizienz (Zweckrationalität) Erfolgreicher Einsatz der eigenen Machmittel?

Wahl der richtigen Strategie?

Volle Ausnutzung des Rechts und der Kompetenzen?

Zutreffende Interpretation der Interessen der Betroffenen?

Übereinstimmung mit dem eigenen Programm?

Berücksichtigung der Entscheidungsfolgen?

Erhöhung der eigenen Wahlchance?

Berücksichtigung der eigenen Interessenlage?

Erhöhung des individuellen Nutzens?

Verringerung der individuellen Lasten?

Verbesserung des Verwaltungshandelns?

Sparsamer Umgang mit öffentlichen Mitteln?

Stabilisierung der politischen Ordnung?

Erhöhung der Folgebereitschaft der Bevölkerung?

Legitimität (Wertrationalität) Transparenz des Entscheidungsprozesses?

Partizipation der Bevölkerung am Entscheidungsprozess?

Gerechte Verteilung von Lasten und Wohltaten?

Orientierung am Gemeinwohl?

Berücksichtigung der Verfassungsprinzipien?

Reagieren auf Interessenartikulation seitens der Bevölkerung?

Transparenz des Entscheidungsprozesses Chancen auf Mitbestimmung?

Zumutbarkeit unter Gerechtigkeitsgesichtspunkten? Förderung der individuellen Entfaltung?

Förderung des Gemeinwohls? Berücksichtigung der Verfassungsprinzipien? Beachtung der Zukunft des Gemeinwesens?

Quelle: Massing (1997) zit.n. Detjen (2007), 37.

 

 

Konsequenzen für die Politische Bildung

Politisches Wissen, politisches Interesse und politisches Selbstbewusstsein sind nach Massing die Voraussetzungen für politisches Handeln.[4] Der Mensch wird dabei für fähig gehalten, sein Leben in eigener Verantwortung zu gestalten und seine Interessen und Ideen mit anderen auszugleichen. Das bedeutet, er kann seine eigenen Interessen und Ideen öffentlich artikulieren. Der  Mensch ist fähig, sein  Handeln  über die eigenen Interessen und Ideen hinaus mit rechtfertigenden Gründen zu versehen, um den oder die Anderen zu überzeugen und sein Handeln gegen Kritik und gegen Einwände abzusichern, d. h. zu argumentieren. Der Mensch ist in einem weiteren Schritt fähig, sich die Anforderungen anderer anzuhören und sich mit diesen zielorientiert auseinanderzusetzen, das heißt er kann verhandeln.

Als letzter Schritt soll der Mensch möglichst umfassend an den Entscheidungen für die Gesamtheit verantwortlich mitwirken.[5]

Sind diese Voraussetzungen gegeben und gekoppelt an Erfahrungen des Erfolges, der Selbstwirksamkeit, werden Menschen ihre verschiedenen Bürgerrollen wahrnehmen. Sowohl bei den konventionellen Formen wie Wahlen und Abstimmungen als auch bei unkonventionellen Möglichkeiten, sei es individuell durch Meinungsäußerung oder organisiert in Verbänden und Vereinen, unabhängig von der Ebene – von der lokalen Gemeinschaft vor Ort bis hin zu globalen Weltgesellschaft.

 

[1] Die partizipative oder deliberative Demokratie betont öffentliche Diskurse, öffentliche Beratung, die Teilhabe der BürgerInnen an öffentlicher Kommunikation und das Zusammenwirken von Deliberation und Entscheidungsprozess. Deliberation bedeutet Beratschlagung bzw. Überlegung. Joseph M. Bessette prägte 1980 mit seinem Werk „Deliberative Democracy“ den Begriff deliberative Demokratie, dessen wesentliches Kennzeichen der öffentliche Diskurs über alle politischen Themen ist und die politische Willensbildung der Bürger in den Mittelpunkt stellt. Wichtige Theoretiker deliberativer Demokratie sind Jürgen Habermas und John Rawls.
[1] Vgl. Bernauer Thomas u.a. (2013). Einführung in die Politikwissenschaft, Nomos: Baden-Baden.
[2] Siehe http://www.politische-bildung-brandenburg.de/node/6459.
[3] Vgl. Ackermann, Paul/Ragnar Müller (2015). Bürgerhandbuch, Wochenschau Verlag: Schwalbach/Ts, 20f.
[4] Vgl. Massing, Peter (). Politisches Handeln – Versuch einer Begriffsklärung, in: 257-270.
[5] Vgl. ebd., 261.

 

Autorinnen:     FH-Prof. MMag. Dr. Kathrin Stainer-Hämmerle – Fachhochschule Kärnten, Katja Rothleitner – Fachhochschule Kärnten

 

Damit der Text gut verständlich ist, wurde für alle Funktionsbezeichnungen die männliche Form gewählt. Das entspricht mehrheitlich der aktuellen Situation. In einer Demokratie sollte es jedoch Ziel sein, dass in allen Positionen sowohl Männer als auch Frauen sowie Personen aller Altersgruppen vertreten sind.