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Volksgruppen

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 Volksgruppen in Österreich

Als „Volksgruppen“ definiert das Volksgruppengesetz „die in Teilen des Bundesgebietes wohnhaften und beheimateten Gruppen österreichischer Staatsbürger mit nichtdeutscher Muttersprache und eigenem Volkstum“ (§ 1 (2) VoGrG). Es handelt sich um Gruppen von Staatsbürgern, die seit mehreren Generationen in Österreich ansässig sind, eine eigene Sprache sprechen und eine kulturelle Verbundenheit pflegen.

In Österreich gibt es derzeit sechs Volksgruppen: Die slowenische, die kroatische und ungarische, tschechische, slowakische Volksgruppe und die Volksgruppe der Roma. In Kärnten liegt das traditionelle Siedlungsgebiet der slowenischen Volksgruppe. Die kroatische und ungarische Volksgruppe siedelt traditionell im Burgenland, TschechInnen und SlowakInnen in Wien. Die Gruppe der Roma konzentriert sich eher im Burgenland und im Großraum von Wien.

Was sind Minderheiten?

Historisch betrachtet entstehen („autochthone“) Minderheiten häufig, weil sich die Zugehörigkeit ihres Wohngebiets durch die Veränderung von Staatsgrenzen oder den Zerfall eines Staats in mehrere Nationalstaaten verändert und eine Gruppe von Menschen sich plötzlich in einem „neuen“ Staat wiederfindet. So sind bspw. die in Österreich anerkannten Volksgruppen der UngarInnen, SlowenInnen und KroatInnen, TschechInnen und SlowakInnen nach dem Zerfall der Monarchie Österreich-Ungarn in Österreich zu Minderheiten geworden.

Diese Minderheiten erhalten in Österreich besonderen Schutz vom Staat und haben eigene Rechte – unter anderem, die eigene Sprache privat und in der Öffentlichkeit zu verwenden, den eigenen Namen zu führen, die eigene Kultur und/oder Religion beizubehalten und zu pflegen. Der Staat darf keine Maßnahmen setzen, die darauf hinauslaufen, die (sprachliche, kulturelle, ethnische, etc.) Besonderheit oder Gemeinsamkeit dieser Gruppe aufzulösen (z.B. die Verwendung der Sprache verbieten, sodass diese langsam in Vergessenheit gerät).

Minderheitenrechte und Minderheitenschutz

Die Förderwürdigkeit gesellschaftlicher Minderheiten ist ein Grundprinzip der Demokratie und in Österreich auf mehreren Ebenen rechtlich gesichert. Die Staatzielbestimmung in Art 8 Abs. 2 der Bundesverfassung und die „Wertentscheidung des Verfassungsgesetzgebers“ bringen dies klar zum Ausdruck.

Die Volksgruppen sind durch besondere völkerrechtliche, verfassungsrechtliche und einfachgesetzliche Bestimmungen geschützt. In der Bundesverfassung erkennt der Verfassungsgerichtshof (VfGH) 1981 „eine Wertentscheidung des Verfassungsgesetzgebers zugunsten des Minderheitenschutzes“. Sie kann es erfordern, Angehörige von Minderheiten in bestimmten Situationen nicht nur gleich zu behandeln, sondern „zu bevorzugen“.

Die Republik Österreich bekennt sich in einer Staatszielbestimmung der Bundesverfassung „zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt. Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern“ (Art 8 (2) B-VG).

Das Schutzniveau für die sechs Volksgruppen ist nicht einheitlich. Die intensivsten Rechte genießen die kroatische und ungarische Volksgruppe im Burgenland und die slowenische Volksgruppe in Kärnten. Die besonderen Rechte der BurgenlandkroatInnen und Kärntner SlowenInnen verbrieft Artikel 7 des österreichischen Staatsvertrages von 1955. Dazu gehört z.B. das Recht, die eigene Sprache vor staatlichen Behörden zu verwenden (Amtssprache) oder das Recht auf zweisprachige topographische Aufschriften, das in Kärnten lange Zeit umstritten blieb – im sog. „Kärntner Ortstafelstreit“.

Ein aktuelles Problem, das Volksgruppenangehörige trifft, ist die Abwanderung: Viele Angehörige bleiben z.B. nach dem Studium in Wien, Graz, Klagenfurt oder anderen Städten außerhalb der Gebiete, in denen sie besondere Rechte haben.

Für das Jahr 2016 plant das Land Kärnten eine Änderung der Landesverfassung. Aufgenommen werden soll ein – der österreichischen Bundesverfassung vergleichbares – Bekenntnis zur Minderheit in Kärnten: „Das Land Kärnten bekennt sich zu seiner gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt. Sprache und Kultur, Traditionen und kulturelles Erbe sind zu achten, zu sichern und zu fördern. Die Fürsorge des Landes und der Gemeinden gilt den deutsch- und slowenischsprachigen Landsleuten gleichermaßen.“ Für diese Änderung braucht es die Anwesenheit der Hälfte und die Zustimmung von zwei Drittel der Abgeordneten im Kärntner Landtag. Sie wäre das Ergebnis langer Auseinandersetzungen um Minderheitenrechte in Kärnten, die die Geschichte des Bundeslandes und sein Bild im Außen im 20. Jahrhundert wesentlich mit geprägt haben.

Die Originalversionen der gekürzten Beiträge finden Sie im Downloadbereich der Homepage:

  „Kärnten is lei ans – Vielfalt im Bundesland und darüber hinaus“ von Jürgen Pirker und Linda Hofmeister (Karl-Franzens-Universität Graz)

„Volksgruppenfrage(n) in Kärnten“ von Jürgen Pirker und Linda Hofmeister (Karl-Franzens-Universität Graz)

 „Neue Minderheiten. Migration und Integration“ von Gertraud Diendorfer und Susanne Reitmair-Juárez (Demokratiezentrum Wien)

Die Kärntner Slowenen und Sloweninnen

Traditionell lebt in Kärnten die slowenische Volksgruppe. Es handelt sich um eine „autochthone“ („alteingesessene“) Minderheit. Sie ist durch Rechte auf völkerrechtlicher-, verfassungsrechtlicher und einfachgesetzlicher Ebene geschützt (z.B. im Volksgruppengesetz, in den Staatsverträgen von St. Germain 1920 und Wien 1955, der Europäischen Charta zum Schutz der Regional- und Minderheitensprachen oder der Europäischen Rahmenübereinkommen zum Schutz der nationalen Minderheiten). Zu diesen Rechten gehören u.a. das Recht auf Unterricht in der Minderheitensprache (siehe Zweisprachigkeit), Verwendung des Slowenischen vor Behörden und Gerichten oder zweisprachige topographische Aufschriften in bestimmten Gebieten. Die Umsetzung dieser Rechte in die Praxis hat immer wieder zu Auseinandersetzungen geführt (siehe Die „nationale Frage“ in Kärnten).

Das traditionelle Siedlungsgebiet der slowenischen Volksgruppe liegt im Südkärntner Raum. Es zieht sich entlang der Grenze zu Italien und Slowenien und umfasst im Wesentlichen das untere Gailtal, das Jauntal und das Rosental. Dazu gehören der Bezirk Völkermarkt und Teile der Bezirke Hermagor, Klagenfurt und Villach. Dort entfaltet die slowenische Volksgruppe ein reiches Kulturleben.

Über die Größe der Volksgruppe lässt sich keine genaue Aussage treffen. Daten aus Volkszählungen sind problematisch: Sie erfordern Bekenntnisse (siehe Wir und Andere). Der Einfluss des politischen und gesellschaftlichen Klimas, das in Zeiten solcher Volkszählungen herrscht, darf bei der Bewertung und Interpretation der Ergebnisse nicht außer Acht gelassen werden. In Kärnten führten Spannungen zwischen Mehrheit und Minderheit zu „Änderungen“ der Daten (z.B. Muttersprache, Umgangssprache) in die eine oder andere Richtung (siehe Die „nationale Frage“ in Kärnten). Die Ergebnisse waren und bleiben umstritten. Dennoch zeigen sie deutlich einen Rückgang der Slowenischen Sprache im 20. Jahrhundert: Gab am Beginn des Jahrhunderts noch etwa ein Drittel der Bevölkerung in Kärnten Slowenisch als Umgangssprache an, waren es am Ende nur etwas mehr als 2 %. Heute ist es attraktiv, in Kärnten Slowenisch zu lernen: Die Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht steigen in den letzten Jahren kontinuierlich an (siehe Zweisprachigkeit).

Aktuelle Herausforderungen für die Volksgruppe bestehen weiterhin in der Umsetzung von Minderheitenrechten, einer adäquate Ausgestaltung des zweisprachigen Unterrichts (die sicherstellt, dass Schülerinnen und Schüler mit und ohne Vorkenntnissen der slowenischen Sprache ein hohes Sprachniveau erreichen) und der wirtschaftlichen Situation der Südkärntner Gebiete, in denen die Volksgruppe traditionell lebt. „Landflucht“ ist ein Phänomen in ganz Kärnten, sie trifft Minderheitenangehörige aber besonders, weil sie außerhalb der autochthonen Siedlungsgebiete ihre besonderen Rechte (z.B. Amtssprache) nicht wahrnehmen können. Ähnliches gilt für die Zusammenlegungen von Schulen: Kleine Volksschulen im zweisprachigen Gebiet sichern den Unterricht und den Erhalt der Minderheitensprache. Abwanderung ist neben der Assimilation eine existenzielle Bedrohung für Minderheiten. Abhilfe schaffen kann eine besondere Förderung für Gebiete, die zweisprachig sind.

Für solche politischen Anliegen der Volksgruppe und die Umsetzung der Minderheitenrechte engagieren sich in Kärnten drei politische Organisationen und eine regionale Partei:

  • Der Rat der Kärntner Slowenen (Narodni svet koroških Slovencev, NSKS)
  • Die Gemeinschaft der Kärntner Slowenen und Sloweninnen (Skupnost koroških Slovencev in Slovenk, SKS)
  • Der Zentralverband Slowenischer Organisationen (Zveza slovenskih organizacij na Koroškem, ZSO)
  • Die Einheitsliste/Enotna Lista (EL)

Einen umfassenden Überblick über die slowenische Kulturgeschichte Kärntens bietet:

Sturm-Schnabl Katja/Schnabl Bojan-Illija (Hrsg) (2016): Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška. Von den Anfängen bis 1942, Wien.

Einen Überblick über die Geschichte und aktuelle Situation der Volksgruppe gibt die Broschüre:
Die Kärntner Slowenen. Download unter: http://www.elnet.at/images/uploads/kaerntner_slowenen_folder_web.pdf

Zweisprachigkeit in Kärnten

Seit vielen Jahrhunderten ist die Bevölkerung in den südlichen Teilen Kärntens zweisprachig. Die Haltung zur slowenischen Sprache wandelte sich jedoch im Zuge politischer und gesellschaftlicher Umwälzungen. Die Auseinandersetzungen um zweisprachigen Unterricht im zweisprachigen Gebiet beginnen bereits Mitte des 19. Jahrhunderts (siehe Timeline der Volksgruppenfrage in Kärnten; oder Geschichte des zweisprachigen Unterrichts in Kärnten: http://www.lsr-ktn.gv.at/historische-entwicklung ).

Das Recht auf slowenischsprachigen Elementarunterricht im zweisprachigen Gebiet ist im Staatsvertag in Artikel 7 gesetzlich verankert. Das Minderheitenschulwesen liegt im Zuständigkeitsbereich des Bundes (siehe Minderheitenrechte und Minderheitenschutz). Im territorialen Geltungsbereich des Minderheiten-Schulgesetzes in Kärnten gibt es heute Schulen mit deutscher und slowenischer Unterrichtssprache – 65 Volksschulen, 18 Haupt- oder Mittelschulen und drei Höhere Schulen.

Liste von Schulen im Geltungsbereich des Minderheiten-Schulgesetzes: http://www.lsr-ktn.gv.at/standorte/

Höhe Schulen im Geltungsbereich des Minderheiten-Schulgesetztes:

  • Höhere Lehranstalt für wirtschaftliche Berufe St. Peter, St. Jakob im Rosental www.hlw-stpeter.at
  • Zweisprachige Bundeshandelsakademie, Klagenfurt/Celovec http://www.hak-tak.at
  • BG und BRG für Slowenen, Klagenfurt/Celovec: führt auch sogenannte dreisprachige Kugyklassen (slowenisch, deutsch und italienisch) www.slog.at

Zum territorialen Geltungsbiet zählen jene Gebiete, in denen 1958/59 zweisprachiger Unterricht an Volks- und Hauptschulen durchgeführt wurde. Es ist aber auch außerhalb des Geltungsgebietes möglich, zweisprachige Klassen zu führen, wenn nachhaltiger Bedarf besteht und mindestens sieben Anmeldungen vorliegen.

Da die Umsetzung einiger zugesicherter Rechte in Artikel 7 des Staatsvertrages in der Vergangenheit immer wieder verzögert wurde, gründeten Angehörige der Volksgruppe private Initiativen, z.B. Kindergärten, um die Sprachkompetenzen bereits im frühkindlichen Alter zu fördern, bzw. den Verlust der Muttersprache zu verhindern. Mit dem EU-Beitritt und der zunehmenden Bedeutung von fremdsprachlichen Kompetenzen hat sich auch das vormals aufgrund der Auseinandersetzungen in der nationalen Frage (siehe Die „nationale Frage“ in Kärnten) häufig negativ behaftete Image der slowenischen Sprache in Kärnten gewandelt.

Das Interesse an der slowenischen Sprache in Kärnten steigt: Die Anmeldungen zum zweisprachigen Unterricht erreichen im Bereich des zweisprachigen Schulwesens mehr als 40%. Slowenisch ist als Wirtschaftssprache, europäische Amtssprache und Staatssprache des Nachbarlandes attraktiv – aus kulturellen, wirtschaftlichen oder emotionalen Gründen wird Slowenisch auch von Angehörigen der Mehrheitsbevölkerung gelernt. Globalisierung und europäische Integration fördern diesen Trend. Es gilt heute häufig das Motto: „Je mehr Sprachen, umso besser“ – auch für Slowenisch in Kärnten.

Herausfordernd für das Lehrpersonal ist das sprachliche Ausgangsniveau der SchülerInnen – Einschätzungen nach verfügt der Großteil zum Zeitpunkt der Einschulung über keine Vorkenntnisse der slowenischen Sprache. Zudem nimmt nur etwa die Hälfte der SchülerInnen in der Sekundarstufe I Angebote zum zweisprachigen Unterricht in Anspruch.

Wie zweisprachiger Schulalltag in Kärnten gelebt werden kann, berichten SchülerInnen und LehrerInnen in folgenden Beiträgen (erstes Video: Deutsch; zweites Video: Slowenisch):

 

Eine Sammlung von Beiträgen zur Zweisprachigkeit im Burgenland, in Kärnten und Wien bietet das Buch: Natürlich zweisprachig (2013) von: Wolf, Willi; Sandrieser, Sabine; Vukman-Artner, Karin; Domej, Theodor (Hrsg.): Graz

Links

Landesschulrat Kärnten:

Die „nationale Frage“ in Kärnten

Vom Beginn seiner Geschichte an erweist sich das Gebiet des späteren Kärnten als eine Landschaft teils friedlicher, teils kriegerischer Begegnung der einwandernden Volksstämme: Illyrer, Veneter, Kelten, Römer, Goten, Langobarden, Awaren, Slawen und Baiern. Slawische Siedler lassen sich in Kärnten bereits in der zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts nieder. Das von ihnen zentral besiedelte Gebiet trägt den Namen Carantania/Carantanium; ein Jahrhundert später findet sich bereits das Fürstentum Karantanien, dessen politisches Zentrum vermutlich in der Gegend um das Zollfeld in Kärnten gelegen ist. Im 8. Jahrhundert ruft der slawische Herzog die Baiern zu Hilfe gegen die anrückenden Awaren. Sie lassen sich in Kärnten nieder. Die Geschichte des Zusammenlebens beginnt. Doppelnamen und Übersetzungspaare belegen seine lange Tradition. „Politisiert“ wird es mit dem Aufkommen des Nationalismus ab der Mitte des 19. Jahrhunderts: Nun beginnt eine nationale Lagerbildung auf „deutscher“ und „slowenischer“ Seite. Hier liegen die Wurzeln des nationalen Konfliktes in Kärnten, der sich durch das 20. Jahrhundert zieht.

Die jüngere Vergangenheit wirft in Kärnten lange Schatten über das Zusammenleben. Das zeigen jahrelange Diskussionen um Minderheitenrechte wie zweisprachige Ortstafeln ebenso, wie über die alljährliche Gestaltung der Feierlichkeiten zum Jubiläum der Kärntner Volksabstimmung vom 10. Oktober 1920.

Zu den Ursachen für das Ringen um Minderheitenrechte gehören Konflikte und Verletzungen in der nationalen Frage, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts die Kärntner Geschichte prägt. Zentrale Trennlinie wurde die Sprache – Deutsch oder Slowenisch. Die Ereignisse der Vergangenheit legen die Basis für Konflikte in der Volksgruppenfrage und verschiedene Erzählungen und Interpretationen.

Dazu gehören skizzenhaft:

  • Forderungen, Slowenisch als Amts-, und Unterrichtssprache zuzulassen im Jahr 1848; Auseinandersetzungen um das zweisprachige Schulwesen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und eine intensive nationale Lagerbildung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts, wobei der slowenische Nationalismus ländliche Schichten erfasst und seine Intelligenz vor allem im Klerus findet, während der sich Deutschnationalismus in der Arbeiterschaft und im Großbauerntum verbreitet und seine Elite im städtischen Bürgertum rekrutiert;
  • Ansprüche des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS) auf Teile Südkärntens am Ende des ersten Weltkrieges; die militärische Auseinandersetzung und Gegenwehr von Kärntner Seite („Abwehrkampf“) und eine – auf internationale Intervention vermittelte – Kärntner Volksabstimmung am 10.10.1920, die mit einem erheblichen Teil slowenischer Stimmen für Österreich und Kärnten entschieden wird;
  • gezielte „Germanisierung“ entgegen Versprechungen der Kärntner Landesversammlung vor der Volksabstimmung an die Kärntner Slowenen, ihre „nationale Eigenart“ zu wahren;
  • Germanisierung und Aussiedelung von mehr als 1.000 Angehörigen der Volksgruppe in der Zeit des Nationalsozialismus und Widerstand der Partisanen gegen das NS-Regime und Übergriffe auf die Zivilbevölkerung beider Seiten;
  • neuerliche Gebietsansprüche Jugoslawiens auf Teile Südkärntens, aus denen letztendlich die Minderheitenrechte in Artikel 7 des Österreichischen Staatsvertrages von 1955 resultieren;
  • in der zweiten Republik Auseinandersetzungen um das zweisprachige Schulwesen in den 1950er und 1980er Jahren und um zweisprachige topographische Aufschriften („Ortstafeln“), die in den 1970ern in „Beschmierungsaktionen“ und den „Ortstafelsturm“ münden und erneut nach einem Erkenntnis des VfGH im Jahr 2001 – bis im Jahr 2011 eine Vereinbarung zur Regelung der Ortstafelfrage im Verfassungsrang getroffen wird.

Ortstafel

In der Minderheitenfrage in Kärnten können typisierte Positionen beider Seiten gegenseitige Verletzungen thematisieren, z.B. die Gefahr der Teilung Kärntens oder das Verschwinden der Gruppe. „Typische“ Erzählungen stützen die Identität einer Gruppe. Ihre Mitglieder orientieren sich daran. Auf diese Weise entstehen dominante oder „offizielle“ Erinnerungen, denen abweichende Gegenerzählungen kleinerer Gruppen, wie einer Minderheit, gegenüberstehen.  Sichtbar werden Gegenpositionen z.B. bei der Deutung und Gestaltung von Jubiläen wie dem 10. Oktober. Sie können eine bestimmte Erinnerung betonen, symbolisieren und nach außen transportieren.

Zusätzlich zu wechselseitigen Nationalisierungsprozessen und ihren aggressiven Ausprägungen beeinflussten Gegensätze zwischen Monarchie (SHS-Staat) und Demokratie (Österreich), später die Grenze zum kommunistischen Jugoslawien die Volksgruppenfrage und die Beziehungen zwischen Kärnten und Slowenien. Die Unabhängigkeit Sloweniens 1991 und sein Beitritt zur Europäischen Union 2004 veränderten die Wahrnehmungen des Nachbarlandes und der slowenischen Sprache in Kärnten. Sie trugen zu einer Entspannung bei. Die Europäische Union als gemeinsames Dach erleichtert den Abbau nationaler Trennlinien und Grenzen in den Köpfen.

Weiterführende Informationen nur „nationalen Frage“ in Kärnten finden Sie bei:

Valentin Hellwig (2015) Eine konfliktreiche Beziehungsgeschichte. Die Volksgruppenfrage und die Beziehungen zwischen Kärnten und Slowenien, in Pirker Jürgen (Hrsg.), Kärnten und Slowenien: Getrennte Wege – Gemeinsame Zukunft. Jugend zwischen Heimat, Nation und Europa/Koroška in Slovenija: Ločene poti – skupna prihodnost. Mladi o domovini, narodu in Evropi, Baden-Baden

Einen umfassenden Überblick über die slowenische Kulturgeschichte Kärntens bietet:

Sturm-Schnabl Katja/Schnabl Bojan-Illija (Hrsg.) (2016): Enzyklopädie der slowenischen Kulturgeschichte in Kärnten/Koroška. Von den Anfängen bis 1942, Wien.

Die Originalversionen der gekürzten Beiträge finden Sie im Downloadbereich der Homepage:

„Kärnten is lei ans – Vielfalt im Bundesland und darüber hinaus“ von Jürgen Pirker und Linda Hofmeister (Karl-Franzens-Universität Graz)

„Volksgruppenfrage(n) in Kärnten“ von Jürgen Pirker und Linda Hofmeister (Karl-Franzens-Universität Graz)

Eine ausführliche Darstellung der historischen Ereignisse bietet die Timeline der Volksgruppenfrage in Kärnten

Jugend und Minderheiten

Die „nationale Frage“ in Kärnten hat zu Konflikten geführt, verschiedene Deutungen der Vergangenheit hervorgebracht und das Zusammenleben beeinflusst. Im Gegensatz zu den Generationen, die Konflikte in den 1950er, 1970er Jahren oder zuletzt im Ringen um eine „Lösung“ der Kärntner Ortstafelfrage miterlebt haben, sind sich Jugendliche, die heute die Schule besuchen, dieser Aspekte der Geschichte Kärntens und den Inhalten der Volksgruppenfrage kaum bewusst.

Befragungen von Jugendlichen (siehe Schulprojekte) an allgemeinbildenden höheren Schulen in Kärnten in den Jahren 2011 und 2013 zeigen auf, dass häufig das Wissen über Minderheiten in Österreich und Kärnten fehlt: Die SchülerInnen vermengen die Anliegen „autochthoner“ Volksgruppen mit der Migrations- oder sogar der Asyldebatte. Politische Bildung hat demzufolge den Minderheitenschutz als Teil der demokratischen Bildung stärker zu thematisieren.

Ein eindrückliches Beispiel: Jugendliche zwischen 16 und 18 Jahren identifizieren zwar mehrheitlich die Kärntner Slowenen und Ungarn im Burgenland als „autochthone“ Volkgruppen (der Begriff wurde bei der Befragung erklärt). Je weiter entfernt die Volksgruppen leben, umso geringer scheint auch die Kenntnis über sie zu sein. Knapp 60% der Befragten erkennen die Tschechen und Slowaken, fast 50% die Kroaten im Burgenland nicht als „autochthone“ Volksgruppe. Selbst bei den Kärntner Slowenen können 17,3% keine Angabe dazu machen, ob es sich um eine Volksgruppe handelt. Häufige Unkenntnis bestätigt, dass ein Drittel der Jugendlichen die – nur zu Überprüfungszwecken abgefragte – Gruppe der „Schweizer in Tirol“ als österreichische Minderheit identifiziert; deutlich mehr als die tatsächlich anerkannten Gruppen der Tschechen und Slowaken nennen.

Ein großer Teil der befragten SchülerInnen äußert kein Verständnis dafür, dass Minderheiten besonderer Förderungen bedürfen, um z.B. das Überleben der Sprache oder Kultur und Identität sichern zu können. Von einzelnen Instrumenten des Minderheitenschutzes bewerten Jugendliche im Jahr 2013 vor allem jene Maßnahmen besonders positiv, die auf den Schutz von Sprache und Kultur zielen und auch der Mehrheitsbevölkerung zugutekommen, z.B. zweisprachiger Unterricht, zweisprachige Kindergärten, Kulturförderung (siehe Graphik).

Minderheitenschutz

Bedeutsam ist die Einschätzung des zweisprachigen Unterrichts, dem über 60% der Jugendlichen positiv gegenüberstehen. Der Unterricht in der Minderheitensprache bildet die Basis, um eine Minderheitensprache später im öffentlichen Leben zu verwenden: Je stärker eine Sprache präsent und funktional ist und verwendet werden kann, umso höher ist ihr Marktwert und umso leichter können Einzelne eine Sprache positiv besetzen und in ihre Identität integrieren. Daher ist es entscheidend, dass der Staat im öffentlichen Raum Ressourcen bereitstellt für den Schutz und die Verwendung einer Minderheitensprache: Als Amts- und Gerichtssprache, auf öffentlichen Aufschriften, in Form muttersprachlichen Unterrichts, im Arbeits- und Wirtschafsleben und durch Förderung von Kultur, Medien und Vereinigungen, die sich dem Schutz der Minderheiten und ihrer Sprachen widmen.

Im  Servicebereich der Homepage können Sie mit Ihren SchülerInnen eine anonyme Umfrage zu den Themen Volksgruppen, Minderheiten und Minderheitenschutz durchführen. Die Auswertung steht Ihnen im Anschluss zur Verfügung. Die Umfrage kann als Erhebung des Wissenstandes oder Diskussionsgrundlage dienen.

 

Die Originalversionen der gekürzten Beiträge finden Sie im Downloadbereich der Homepage:

„Kärnten is lei ans – Vielfalt im Bundesland und darüber hinaus“ von Jürgen Pirker und Linda Hofmeister (Karl-Franzens-Universität Graz)

„Volksgruppenfrage(n) in Kärnten“  von Jürgen Pirker und Linda Hofmeister (Karl-Franzens-Universität Graz)

Links:

Schulprojekte

Um SchülerInnen eine (inter-)aktive Auseinandersetzung mit Minderheiten- und Volksgruppenfragen zu ermöglichen, wurden zwei Schulprojekte initiiert: „Wir sind Kärnten | Mi smo Koroška“ (2011) und „Getrennte Wege – Gemeinsame Zukunft | Ločene poti – skupna prihodnost“ (2013).

Im Zuge des Schulprojektes „Wir sind Kärnten | Mi smo Koroška“ wurden 2011 mehr als 1.500 SchülerInnen zwischen 15 und 17 Jahren in allen allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS) Kärntens über ihre Einstellung zur Volksgruppenfrage in Kärnten befragt. 60 Schülerinnen und Schüler nahmen an einem Workshop im zweisprachigen Gebiet Kärntens im Katholischen Bildungshaus Sodalitas der Kärntner Slowenen teil. Sie hatten die Aufgabe, im Vorfeld ihre Familiengeschichte zu recherchieren und besprachen in der gemeinsamen Begegnung ihre Geschichte(n), die Einstellung zum Gegenüber und Perspektiven für die Zukunft.

Im Folgeprojekt „Getrennte Wege – Gemeinsame Zukunft | Ločene poti – skupna prihodnost“  2013 wurde unter 5.000 Schülerinnen und Schülern an allgemeinbildenden höheren Schulen (AHS) in Kärnten und Slowenien eine Umfrage durchgeführt zur Einstellung zu Nachbarländern und -sprachen, Nationalbewusstsein und Europa, „neuen“ und „alten“ Minderheiten und den Beziehungen zwischen Kärnten und Slowenien. 80 Schülerinnen und Schüler aus Kärnten und Slowenien bereiteten sich in Gruppen und in Einzelarbeit auf die Begegnung vor: Sie führten Interviews (mit Zeitzeugen), verfassten Statements, recherchierten im persönlichem Umfeld oder erstellten Gruppenpräsentationen zu vorgegebenen Themen. Die TeilnehmerInnen trafen sich für drei Tage im zweisprachigen Gebiet Kärntens und diskutierten Familiengeschichten, Meinungen und Visionen für die gemeinsame Region. Während der Workshops und Diskussionen wurde darauf geachtet, dass die SchülerInnen auf den Einsatz einer Dritt-Sprache (zB Englisch) verzichteten. Zusätzlich besuchten die Jugendlichen das Volksabstimmungsmuseum in Völkermarkt und die Außenstelle des KZ Mauthausen auf dem Loibl-Pass.

Durch den begleiteten Kontakt wurde eine Intervention gesetzt, um eine (erstmalige) Begegnung zwischen Jugendlichen aus Kärnten und Slowenien und Angehörigen der slowenischen Volksgruppe in Kärnten herzustellen. Die Ergebnisse der Studie, Beobachtungen und Rückmeldungen der TeilnehmerInnen zeigen: Begegnung und persönlicher Kontakt, intensive Auseinandersetzung mit Familien- und Landesgeschichte(n), bessere Information in Volksgruppenfragen haben klärende Wirkung, ermöglichen einen nachhaltigen Perspektivenwechsel, erhöhen das Verständnis für das Gegenüber und Sensibilisieren für Bedürfnisse und Anliegen der Volksgruppe.

„Erst während des Erzählens wurde mir richtig bewusst, wie sehr mich die Geschichte unserer Vorfahren persönlich betroffen macht und wie sehr ich von diesen Geschehnissen geprägt bin, obwohl ich sie selbst nicht miterlebt habe.“ (2011)

„Wenn ich nie versuche zu verstehen, dass einem Zugehörigen der slowenischen Volksgruppe die slowenische Sprache näher ist als die deutsche, (sprich Slowenisch ist einfach seine Muttersprache, die emotional besetzte Sprache), werde ich nie verstehen, warum er in manchen Situationen lieber Slowenisch als Deutsch wählt, um sich zu verständigen.“ (2011)

„Wichtig für mich war es, mit Kärntner Slowenen ganz offen über ihre Einstellung, ihren persönlichen Bezug, ihre Enttäuschung und ihre Wut zu sprechen. Diese Gespräche halfen, die ganze Geschichte aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten.“ (2011)

„Vor allem durch die Familiengeschichten haben sich Gemeinsamkeiten entwickelt.“ (2013)

„Ich hätte mir nicht gedacht, dass es heute noch Jugendliche gibt, die das persönlich so betrifft und für die das jetzt noch so ergreifend ist.“ (2013)

SchülerInnen, des Stiftsgymnasiums St.Paul, die an der dreitägigen Begegnung teilgenommen haben, sprechen zwei Jahre später über die Erlebnisse, die ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind unter:

Stiftsgymnasiums St.Paul:

http://ww1.stiftsgymstpaul.at/projekte/geschichte/getrennte_wege_gemeinsame_zukunft_2013/getrenntewege_gemeinsamezukunft.htm

ORF: http://volksgruppen.orf.at/slovenci/meldungen/stories/2737151/

Die Ergebnisse der Studien in:

  • Pirker Jürgen (2013): Wir sind Kärnten – Mi smo Koroška. Jugend, Begegnung und politische Bildung in Volksgruppenfragen, Baden-Baden.
  • Pirker Jürgen/Hofmeister Linda (2015): Ergebnisse der Umfrage und Intervention/Rezultati ankete in intervencija, in Pirker Jürgen (Hrsg), Kärnten und Slowenien: Getrennte Wege – Gemeinsame Zukunft. Jugend zwischen Heimat, Nation und Europa/Koroška in Slovenija: Ločene poti – skupna prihodnost. Mladi o domovini, narodu in Evropi, Baden-Baden

Die Originalversionen der gekürzten Beiträge finden Sie im Downloadbereich der Homepage:

„Kärnten is lei ans – Vielfalt im Bundesland und darüber hinaus“ von Jürgen Pirker und Linda Hofmeister (Karl-Franzens-Universität Graz)

„Volksgruppenfrage(n) in Kärnten“  von Jürgen Pirker und Linda Hofmeister (Karl-Franzens-Universität Graz)

Didaktisches Material (Arbeitsblätter, Rechercheanleitungen, Interviewleitfäden) finden Sie im Downloadbereich

 

Links

Informationen zu Rechtsgrundlagen und Volksgruppenförderung finden Sie:

Volksgruppenvertretungen

  • Die Einheitsliste (Enotna Lista, EL): http://www.elnet.at
  • Die Gemeinschaft der Kärntner Slowenen und Sloweninnen (Skupnost koroških Slovencev in Slovenk, SKS):  http://www.skupnost.at
  • Der Zentralverband Slowenischer Organisationen (Zveza slovenskih organizacij na Koroškem, ZSO):  http://www.slo.at